Von einladenden und abweisenden Bibliotheken

Ich war in der neuen Bücherei in Stuttgart. Im Bücherwürfel. Ich wusste, dass er von außen keine Schönheit ist, aber auf das Innere war ich sehr gespannt. Ich als Bücherwurm.

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Ja, keine Schönheit stimmt wirklich, zumindest am Tage.

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Der Würfel ist sehr formal, sehr starr – und sehr abweisend. Natürlich kommt das zum Teil vom fehlenden Umfeld. Ich hoffe einfach mal, dass das in Zukunft entsprechend gestaltet wird. Nein, es geht da nicht um Gestaltung, es geht um Vernetzung und Aufenthalt. Wie komme ich hin, mit welchen Verkehrsmitteln? Gibt es drumherum Platz zum sich Aufhalten? Macht es Spaß, sich dort aufzuhalten? Wie binde ich diese Bibliothek in die Stadt ein und lasse sie nicht auf ihrer isolierten Insel? Da gibt’s noch verdammt viel zu tun.

„Häuser ohne Umfeld sind Bauten, die eigentlich noch kein Gesicht haben. Sie können zu nichts Kontakt aufnehmen, sich auf nichts beziehen, sie wirken ortlos, zeitlos, heimatlos wie Abkömmlinge fremder Welten. Für die neue Stuttgarter Stadtbibliothek gilt das in besonderem Maße.“

Überhaupt die Lage. Ich war 2 Mal dort, einmal vom Bahnhof, einmal von der Wolframstraße aus. Beides keine schönen Wege, entweder durch das La-Defense-Viertel hinter dem Bahnhof oder irgendwie über die Straßenbahnhaltestelle durch, auch wenn man selbst nicht von der Straßenbahn aus kommt. Und wieso eigentlich eine Bibliothek mitten in einem Büro-Viertel? Soll die Bibliothek nicht zu den Menschen kommen, sie einladen, niederschwellige Angebote machen?

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Das ganze Gebiet ist ja eine riesige Barriere im Stadtgefüge. Gerade die Heilbronner Straße. Was für eine Chance wäre es, wenn hier wirklich Stuttgart quer vernetzt werden könnte. Wenn man das Tal queren könnte, gerade auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Noch hoffe ich, aber ich glaube nicht wirklich daran.

Nun also ein Würfel. Bibliotheken sind ja oft nach innen orientiert, wahrscheinlich funktionieren sie so am Besten und es passt ja auch, das Buch lädt zum Rückzug in eine innere Welt ein. Aber deswegen muss sie ja nicht abweisend sein, ich kann ja auch zum Rückzug einladen. Was dieser Würfel ganz sicher nicht tut. Für mich ist seine Haltung eher: kommt mir bloß nicht zu nahe. Offen für alle Besucher? Ganz, ganz großes Fragezeichen.

Nun gut, ich gehe trotzdem rein. Ich hatte ja schon Bilder im Kopf, der Galeriesaal über 4 Etagen, auf den war ich schon sehr neugierig. Womit ich überhaupt nicht gerechnet habe ist das Herz. „Herz“, so nennt es der Architekt Eun Young Yi. Ein „kathedraler Raum, der für Vertiefung und Meditation steht“. Ich finde, er steht für Ratlosigkeit und Leere.

Ich schätze ja interessante Raumeindrücke, auch Lufträume über mehrere Etagen, aber hier dachte ich tatsächlich nur: Was für eine Verschwendung. Was für ein schrecklicher Raum. Ein Mausoleum? Für den Abgesang aufs Buch?

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Dahinter geht es nun die Treppen hoch, die Aufzüge hatte ich zuerst nicht gefunden. Es hat übrigens nur 2. Genauso wie es Toiletten nur im Keller und ganz oben gibt. Womit das Thema dieser Bücherei ganz deutlich gezeigt wird: Design geht vor Gebrauch. Formalismus vor Bequemlichkeit. Arroganz vor Einladung.

Ganz ehrlich, praktisch ist da nichts. Die Recherchecomputer standen früher einfach auf einem Tisch. Jetzt sind sie in die Wand eingelassen, mit dazugehörigem Bildschirm. Im Sitzen ist der Bildschirm zu hoch und der Sitz zu niedrig. Im Stehen ist der Bildschirm zu niedrig und der Tisch auch.

Vor allem aber finde ich die Orientierung im Würfel schwierig. Man betritt ja jede neue Etage um ein Viertel gewendelt. Man wandelt im Kreis, nein im Viereck, immer um die Mitte herum auf der Suche nach etwas. Da die Außenfassade ja mehrschichtig ist, kann man nicht wirklich rausschauen, man hat also noch weniger Orientierung. Die unteren 4 Geschosse winden sich so um das Herz herum, was die Orientierung auch nicht erleichtert. (Der Klabauter sagt natürlich: macht nichts, Männer haben einen eingebauten Kompass. Schön für sie.)

Spannend ist natürlich die eigentliche Bibliothek. Toll ist der Galeriesaal, hier stehen die Bücher im Vordergrund. Hier ist die weiße Farbe auch angemessen, sie ist der neutrale Rahmen für all die vielen bunten Bücher. An anderen Stellen wirkt alles nur steril und kalt.

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Schön ist natürlich, das alles in einem Haus ist, Musikbibliothek, Kinderbibliothe usw. Genügend Platz und genügend Medien. Ich hoffe, ich werde sie noch lieben lernen. Schön sind auch manche Gimmicks. Die Medientransportanlage, ein nettes Spielzeug zum Anschauen und für den Büchereialltag sicher sehr praktisch. Ob’s funktioniert? Im Eingangsbereich Bildschirme mit Lesungen von Autoren. Ja, kann man machen.

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Das Multimediale – nun gut, das ist das Ding der Zukunft. Aber es geht auch um Bücher. Immer noch. Und zu Büchern gehört eindeutig eine schöne Atmosphäre.

Und dann die Idee, ganz oben ein Lesecafé zu bekommen. Schön, dachte ich – bis ich es sah. Eine Krankenhauscafeteria hat mehr Atmosphäre. Die Tageszeitungen sind unten im Erdgeschoss, das Café ganz oben. Durchdacht ist etwas anderes. Atmosphäre auch.

Sehnsüchtig dachte ich nun – an die Bücherei Esslingen. Eine Bücherei mit Atmosphäre, in einem alten historischen Pfleghof. Hier verdient das Lesecafé seinen Namen. Ein Café mit Zeitungen, mit schönen Sitzgelegenheit, mit einem wunderbaren Innenhof. Deswegen mein Fazit: Schauen Sie sich den Bücherwürfel mal an. Und dann fahren Sie nach Esslingen. Und genießen dort Buchatmosphäre. Wenn Sie dort sind können Sie gleich zur LesARt gehen. Und kommen Sie wieder – nach Esslingen. Es lohnt sich.

Außerdem noch:

5 Antworten zu “Von einladenden und abweisenden Bibliotheken

  1. Also, ich würde mich in diesem Würfel auch keinesfalls wohl fühlen. Da leihe ich mir lieber Bücher aus und nehme sie zum Lesen mit nach Hause, hier habe ich nämlich eine heimelige Athmosphäre und eine gemütliche Couch zum Schmökern…
    ♥liche Grüße!

  2. Nur muss man halt auch hinkommen.
    Gruß, Tine

  3. Ach! *seufz* Wir unterhalten uns auf unseren Ausflügen ständig über Städtebauliches und alles, was nur im Entferntesten damit zu tun hat. Uns scheint, dass viele Architekten a) nicht aus den Erfahrungen, die vorliegen, gelernt haben, b) dass selten darauf geguckt wird, ob etwas Neues in seine Umgebung passt (nun ja, hier ist ja noch nicht viel und c) es wird nicht auf die Funktionalität geachtet – wahrscheinlich will sich der Architekt nur selbst verwirklichen. Alles andere ist ihm egal, wie die Benutzer dahin kommen, ob sie Toiletten bequem erreichen können etc.

    Ne, so geht das nicht und ich finde es sehr enttäuschend. Übrigens … ich wette, auch Stuttgart ist verschuldet und dann wird so etwas gebaut?? Mir unverständlich. Gibt es keine anderen Gebäude, die dafür geeignet gewesen wären?

    Und jetzt höre ich auf, aber ich könnte mich noch stundenlang darüber aufregen.

  4. Kalt, steril und ohne Herz.
    Schade um das viele Geld.

  5. Pingback: Von einladenden und abweisenden Bibliotheken | Stories & Places

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