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Ich steh an Deiner Krippe hier, 19. Tür

19. Tür

Die Hirten sind noch unterwegs und ohne Dach,
wenn andre längst in festen Häusern schlafen.
Doch wachen sie nicht mehr wie einst bei Schafen
und denken über Schuld und Gott und Elend nach.

Als Taxifahrer halten sie sich mühsam wach,
sie zittern im Gefängnis vor den Strafen,
sind ausgestoßen von den ewig Braven,
und unter Schmerzen liegen sie, verstört und schwach.

Doch siehe: Gottes Engel tritt heran
zu allen, die er wachend findet,
weil Pflicht, weil Schicksal sie jetzt bindet,

sagt ihnen, wo sie sind, die Freude an:
das Heil wohnt unter uns im engen Stall,
und Bethlehem ist heute überall.
Dietmar Schröder

Was gibt es zu den Hirten zu sagen? Dass sie Menschen am Rande waren, echte raue Kerle und keine „anbetend knieenden redlichen Hirten“ ist nichts Neues. Auch wenn wir uns heute die Hirten wahrscheinlicher romantischer vorstellen als sie es tatsächlich waren. Zum einen haben wir die unzähligen niedlichen kleinen Hirtenkinder von den Krippenspielen vor Augen, zum anderen sind die heutigen echten Hirten sehr viel stärker Teil der Gesellschaft. Bei Hirten denken wir eher an Aussteiger wie die Sennen auf der Alm oder wir können uns ihren Beruf sogar auf Twitter anschauen wie beim Wanderschäfer auf der Schwäbischen Alb.

Aber die Hirten der damaligen Zeit waren echte Randexistenzen, meist gehörten die Tiere ihnen nicht, ihnen wurde oft Unehrlichkeit vorgeworfen, vor Gericht wurde ihnen grundsätzlich nicht geglaubt. Und diesen Hirten wird hier als erstes die frohe Botschaft verkündet – ein Thema, das sich in der Bibel durchzieht. Informationen aus erster Hand gibt es für die, denen vor Gericht nicht geglaubt wird. An Weihnachten die Hirten, bei der Auferstehung zuerst die Frauen. Es gibt also keinen Empfang für die Wichtigen und das Volk darf hinterher in der Zeitung nachlesen, was los war. Es gibt keine offiziellen Verlautbarungen, kein Countdown bis zur Pressekonferenz.

Nein, in der Nacht, wenn die anderen Menschen schlafen, passiert etwas. Und die Hirten sind wachsam, sie verschlafen es nicht. Sie können die Zeichen der Zeit lesen, sie verstehen und kennen das Wunder der Geburt. Die entscheidenden Dinge passieren nachts oder am Rande.

Und sie gehen tatsächlich los, so wie sie sind – ohne Weihnachtsstimmung, ohne Festkleidung, ohne Weihnachtsdekoration. Sie kommen wie sie sind.

Am spannendsten finde ich ja dies: „Sie breiten das Wort aus, das zu ihnen gesagt worden war: Und alle wunderten sich, über das, was den Hirten gesagt war. Und sie lobten Gott für das, was sie gehört hatten.“ Die anderen hören den Hirten tatsächlich zu, sie kommen miteinander in Kontakt, sie glauben den Hirten. Hören wir den Randexistenzen zu? Haben sie heute überhaupt die Möglichkeit, uns etwas zu sagen? Würden wir ihnen glauben, sie ernst nehmen? Wäre es für uns nicht erst wahr, wenn das Fernsehen dabei gewesen wäre? Können wir uns noch wundern und sind wir bereit, dem Wunderbaren zu glauben?

WIE EINER DER HIRTEN
Du
mögest einer werden, der die Träume
nicht umbringt,
der die Lachenden
nicht verstummen lässt
und die Traurigen schützt,
einer, der behütet,
was verletzbar ist,
einer, der seine Seele
nicht preisgibt,
sondern sie trägt
wie ein Lamm,
einer, der sich
auf Engel verlässt,
auf ein Licht,
einmal gesehen,
auf ein Wort des Friedens,
unvergesslich.
Dann wirst Du finden
den Ort, wo es heißt:
Gott mit uns.
Dann wird es von Dir heißen:
er ist geworden
wie einer der Hirten.
Joop Roeland

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Ich steh an Deiner Krippe hier, 18. Tür

18. Tür

nochmals Marias Magnificat:

 
l. und maria sang
ihrem ungeborenen sohn:
meine seele erhebt den herrn
ich juble zu gott meinem befreier
ich: eine unbedeutende frau –
aber glücklich werden mich preisen
die leute von jetzt an
denn großes hat gott an mir getan –
sein name ist heilig
und grenzenlos sein erbarmen
zu allen denen es ernst ist mit ihm –
er braucht seine macht
um die pläne der machthaber fortzufegen
er stürzt die hohen vom sitz
und hebt die unterdrückten empor
er macht die hungrigen reich
und schickt die reichen hungrig weg

2. und maria konnte kaum lesen
und maria konnte kaum schreiben
und maria durfte nicht singen
noch reden im bethaus der juden
wo die männer dem mann-gott dienen
dafür aber sang sie
ihrem ältesten sohn
dafür aber sang sie
den töchtern den anderen söhnen
von der großen gnade und ihrem
heiligen umsturz

3. dennoch
erschrak sie
am tage
da jesus die werkstatt
und ihre familie verließ
um im namen gottes
und mit dem feuer des täufers
ihren gesang
zu leben

4. und dann
ach dann
bestätigten sich
alle ängste
aufs schlimmste:
versteinert stand sie
und sprachlos
als jesus
am galgen
vergeblich
nach gott schrie

5. später viel später
blickte maria
ratlos von den altären
auf die sie
gestellt worden war
und sie glaubte
an eine Verwechslung
als sie
– die vielfache mutter-
zur jungfrau
hochgelobt wurde

und sie bangte
um ihren verstand
als immer mehr leute
auf die knie fielen
vor ihr

und angst
zerpreßte ihr Herz
je inniger sie
– eine machtlose frau –
angefleht wurde
um hilfe um wunder

am tiefsten
verstörte sie aber
der blasphemische kniefall
von potentaten und schergen
gegen die sie doch einst
gesungen hatte voll hoffnung

6. und maria trat aus ihren bildern
und kletterte
von ihren altären herab
und sie wurde
das mädchen courage
die heilig kecke jeanne d’arc
und sie war
seraphina vom freien geist
rebellin gegen männermacht
und hierarchie
und sie bot
in käthe der kräutermuhme
aufständischen bauern
ein versteck

und sie wurde
milionenfach als hexe
zur ehre des
gottesgötzen verbrannt
und sie war
die kleine therese
aber rosa luxemburg auch
und sie war und sie ist
vielleibig vielstimmig
die subversive hoffnung
ihres gesangs

Kurt Marti

***

Maria steht mit beiden Füßen auf dem Boden
sie traut ihrer Stimme
singt voller Lebenskraft ihr Lied

Maria bleibt nicht alleine mit ihrer Sehnsucht
sie begegnet Elisabeth
um verbindende Fragen auszuhalten und zu gestalten

Maria nimmt ihren Standpunkt voll und ganz ein
keine billigen Kompromisse
sondern ein Plädoyer für echte Menschlichkeit

Maria atmet tief durch
damit Freundin Geist durch sie atmen kann
als Ermutigung auch Missstände zu benennen

Maria hält ihre Sehnsucht nicht zurück
sie ist ganz bei sich und erzählt
vom unerwarteten Entgegenkommen Gottes

Maria spürt die Ermächtigung
einseitige Macht zu hinterfragen
um die Armen an ihre einmalige Würde zu erinnern

Maria durchbricht die Tagesordnung
ermutigt zum Aufstand für das Leben
weil sie der Macht der Ohnmächtigen traut

Maria schöpft aus ihrer inneren Quelle
um daraus Widerstand zu wagen
für eine Welt
die allen Menschen Brot und Rosen ermöglicht

Maria nährt ihre Erinnerung
an den Sehnsuchtsaufbruch von Sara und Abraham
und Mirjam und Mose
und sie spürt ihre Lebenskraft

Maria singt ihr Lied
von einem zärtlichen Gott
der nicht aufgibt mit uns zu träumen
vom menschenwürdigen Miteinander
in allen Kontinenten.

Pierre Stutz

Ich steh an Deiner Krippe hier, 17. Tür

17. Tür

Nein, ich stehe an keiner Krippe. Wenn ich hier schon davon spreche, hätte ich natürlich die Krippe in der Nussschale fotografieren können, die erst vor kurzem verschenkt habe. Ich kam aber nicht dazu.

Ich hätte mir auch die Krippe im Kölner Hauptbahnhof anschauen können. Jetzt fahre ich seit 15 Jahren mit dem Zug durch Köln, aber von der Kölner Friedenskrippe habe ich erst jetzt erfahren. Hier wird das Weihnachtsgeschehen in den Trümmern von Köln von 1945 gezeigt – ich denke, das ist sehr beeindruckend, im nächsten Jahr muss ich da unbedingt hin.

Wo ich aber tatsächlich war und immer wieder gerne hingehe ist zur Krippe nach Malsmheim. Seit vielen Jahren wird in Malsmheim für die Adventszeit die komplette Kirche in eine riesige Krippe verwandelt. Pfarrer Franz Pitzal und sein ehrenamtliches Team bauen rund 600 Figuren zu einer großen Krippenlandschaft, die jedes Jahr unter einem anderen Motto steht. Unermüdlich sammeln sie dort Spenden, es gibt Glühwein und Kaffee, Prominente singen und sprechen – alles für einen guten Zweck.

Krippe Malmsheim 2013
Ausschnitt aus der Krippenlandschaft 2013

Krippe Malsmheim 2012
Ausschnitt aus der Krippenlandschaft 2012

die Szenen sind mal aus der Nähe und mal aus der Ferne:
Krippe Malmsheim 2015

Krippe Malmsheim 2015

 

Krippe Malmsheim 2015

Krippe Malmsheim 2015

Krippe Malmsheim 2015

und mal wird es auch ganz irdisch:

Krippe Malmsheim 2015

Prominente sind zu sehen, von Mandela über den Papst bis zum Lehrer Lämpel. Ich glaube es gibt nichts, was es in dieser Krippe nicht gibt. Kurz gefasst: Eine sehr sehenswerte Krippe in der vermutlich hässlichsten Kirche Deutschland. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall und ein gutes Werk tun Sie auch noch damit.

Und zum Abschluss dieser Krippenrunde noch eine Krippe zum selbst Basteln – und was für eine schöne…

***

Nichts an der Härte des Lebens endet, weil Weihnachten geworden ist. Der Augenschein trügt nicht. Die Kranken quälen sich, der nächste Tsunamie wird kommen und wieder Unzählige in den Tod reißen. Die Welt geht ihren Gang. Ob die Welt nicht ein wenig besser sein könnte, wir wissen es nicht. Weihnachten hat keine Antwort auf diese Frage. Aber es birgt ein Versprechen in sich. Das Kind aus der Krippe wird groß werden. Und es wird dann von einem Gott Zeugnis geben, der will, dass wir uns – trotz allem – an uns und an ihm freuen. Dass wir das Leben leben.

Magnus Striet

 

Ich steh an Deiner Krippe hier, 16. Tür

16. Tür

Als alle die Hütte verlassen hatten

Als alle die Hütte verlassen hatten,
Als die Könige fortgeritten waren,
Wie benommen von dem Erstaunlichen, doch mit einem
Blick des Einverständnisses: wir werden schweigen-
Als die Hirten zu ihren Schafen auf den Hügeln
Zurückkehren mußten
(Auch der jüngste Hirt, Nathanael, jener, der so gerne
Bei den dreien geblieben wäre, um das Kind zu schützen,
Auch er ging, obgleich zögernd)-
Als alle, wer immer es war, alle fortgegangen waren
Und das Gesumm der Anbetung erloschen,
Als nur noch der Himmel, Nacht und Sterne
Mit der Erde über das Ereignis sprachen,
Ging ich, Ja, auch ich ging dorthin,
Zurückhaltend, ich gestehe es: aber ich ging,
Durch Schnee wanderte ich,
Der dem kalten Schnee von Rußland glich, vor Jahren,
Über Felder, die vor nicht langer Zeit
Sich gehoben hatten in riesigen Zuckungen,
Durch die Vorräume, Kammern und Hallen der Zeit ging ich,
Durch viele Stimmen, an vielen Gesichtern vorbei-
Bis ich in Stille trat,
Bis ich zum Stall kam im Morgengrauen.
Er hatte sich nicht verändert.
Nein, nichts hatte sich verändert.
Dann stand ich im Schatten der Hütte und sah hinein,
Um zu sehen, was die Könige und Hirten gesehen hatten,
Nicht weniger, nicht mehr.
Ich konnte die beiden erblicken sie schliefen nun.
Wie seltsam:
Sie glichen meinen Eltern, wie ich sie
Von verblichenen Bildern kannte.
Ich sah das Kind. Auch das Kind schlief. Wie erstaunlich:
Es glich dem Kinde meiner Nachbarn.

Walter Bauer

Ich steh an Deiner Krippe hier, 15. Tür

15. Tür

 

Die Bücher sind einsame Kapellen, die der Mensch in den wildromantischen Gegenden des Lebens auf dem höchsten und schönsten Standpunkt errichtet und auf seinen Wanderungen nicht bloß der Aussicht wegen, sondern hauptsächlich deswegen besucht, um sich in ihnen von den Zerstreuungen des Lebens zu sammeln und seine Gedanken auf ein anderes Sein als das rein sinnliche zu richten.
Ludwig Feuerbach

***

Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen das Kindelein

***

Maria wird in vielen Bildern dargestellt und jedes Bild entspricht auch einer anderen Vorstellung von Maria. Von der strengen Gottesmutter als Sitz der Weisheit (Maria ist hier mehr ein Thron denn ein Mensch) über sehr menschliche Darstellungen bis zu entrückten, verklärten Madonnenbildern. Sehr schön finde ich die Schutzmantelmadonnen, die Vorstellung, dass alle unter dem Mantel der Maria Geborgenheit finden.

 
Maria liest

Virgin reading while joseph rocks the babe. Buchmalerei aus Nordfrankreich, 15. Jahrhundert, aus Andrea Günter, Maria liest

Ungewöhnlich ist die Darstellung der lesenden Maria. Allgemein wird gesagt, dies sei ein Symbol dafür, dass die Verheißungen der Heiligen Schrift erfüllt werden. Ich finde, es ist mehr dahinter, ansonsten hätte es auch genügt, wenn ein Engel mit einem Buch daherkommt oder wenn ein Buch auf dem Tisch liegt. Nein, Maria wird häufig in ein Buch vertieft gezeigt. Lesen heißt sich dem Wort öffnen, sich vertiefen, angesprochen werden, selbst nachdenken.

Mir fällt hier sofort ein: „Maria behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Sie lässt die Worte an sich herankommen, sie verinnerlicht die Worte – wie es auch beim Lesen geschieht. Sie denkt selbst –aber mit dem Herzen.

„Lesen heißt „unterscheiden, sammeln, verbinden.“ Das Verbinden wiederum erinnert an Handarbeiten. Hier werden Fäden verknüpft und manchmal falsch verknüpfte wieder aufgezogen und neu verbunden. So gibt es Marien, die weben und stricken. Handarbeiten und Lesen haben ein und dieselbe geistig-seelische Bedeutung: Verbindungen ziehen im Innen, im Außen und zwischen Innen und Außen.“
Andrea Günter, Maria liest

Maria liest

Auf der Flucht nach Ägypten. Virgin reading on donkey. Flämische Buchmalerei, ca. 1475, aus Andrea Günter, Maria liest

Noch ungewöhnlicher ist an diesen beiden Darstellungen aus dem 15. Jahrhundert, dass hier ein Rollentausch stattgefunden hat. Maria liest und Josef hütet das Kind. Selbst heute wirken diese Bilder sperrig, umso mehr in früherer Zeit. Beide funktionieren als Team, als Familie. Maria liest – dazu braucht es Ruhe und Versenkung und dies kann sie nur, wenn sich auch Josef kümmert.

Die Weihnachtsgeschichte ist ja eine Geschichte des Aufbruchs und der Bewegung. Alle sind in Bewegung, Maria und Josef müssen nach Bethlehem, ebenso wie die vielen anderen Menschen, die sich in Steuerlisten eintragen müssen, die Heiligen Drei Könige brechen von weit her auf, die Hirten machen sich auf, Maria und Josef müssen mit dem Kind fliehen… Insgesamt ein großes Getümmel und viel Bewegung. Da ist, wer liest, der ruhende Pol im Geschehen. Nur in Ruhe kann man Worte im Herzen bewegen.

***

Lesen

Ich habe alles
liegen gelassen.
Mein Schatten hinter mir
wandert langsam
von Norden nach Osten.
Meine Erinnerung endet
am Rande des Buches.
Langsam neben mir
im Glas trocknet
das Wasser.
Ohne Vorwurf
vergeht die Zeit.
Sie ist eine vollkommene
Geschichte ohne Fluchtpunkt,
auf den man
zugehen könnte,
um etwas zu finden.

Karl Krolow