
Ostersonntag waren wir beim Kugelmüller in Neidlingen. Kugelmüller? Ein unbekannter und seltener Beruf. In einer Kugelmühle werden Marmorblöcke zu Murmeln gemahlen, mit Hilfe von Wasserkraft. Das Wort Murmel kommt ja schließlich von Marmor.
Was sich zuerst einfach anhört: die vorbereiteten Rundlinge werden in eine Form gegeben und das Wasser dreht sie dann in rund 24 Stunden zu perfekt runden Kugeln. Aber natürlich hat der Kugelmüller davor und danach noch viel Arbeit mit den einzelnen Kugeln. Man kann ja nicht einfach Marmorwürfel in die Form packen und darauf warten, dass Kugeln daraus werden, die Rohlinge müssen schon vorher in eine kugelähnliche Form gebracht werden. Hier hat der Neidlinger Kugelmüller eine ganz eigene Methode entwickelt, die sehr viel zeitsparender ist als das bisherige Zurechtfeilen von Hand. Hinterher müssen die Kugeln natürlich noch poliert werden.

hier zeigt der Kugelmüller Stefan Metzler die beiden Bestandteile einer Mühle
So sehen die Rohlinge aus
und daraus werden dann – schön poliert – glänzende Marmorkugeln
Eine Kugelmühle war früher ein klassisches Nebenerwerbshandwerk, Bauern hatten eine Kugelmühle am Bach und nutzen dann wohl die langen Winterabende zur Herstellung von Marmorkugeln.
Stefan Metzler, der Neidlinger Kugelmüller betreibt diese Mühle seit 2005 neu. Es ist also keine alte Mühle aber eben ein uraltes Handwerk. Er wollte immer eine Kugelmühle haben und so musste er 14 Jahre warten, bis er einen Ort fand, an dem er das betreiben konnte (und ich vermute mal, dass ein Großteil der Zeit auch für das Erhalten der notwendigen Wasserrechte draufging). Heute kann man diese Kugelmühle immer sonntags und feiertags (außer am letzten Sonntag im Monat) besichtigen. Der Kugelmüller erzählt sehr anschaulich von der Mühle, von seiner Arbeit und von der Herkunft der verschiedenen Marmorarten. Er verwendet vor allem heimischen Marmor. Auf der Schwäbischen Alb gibt es natürlich eine Menge unterschiedlicher Arten.
Die Kugelmühle ist sehr klein, sowohl die Anlage am Bach als auch die Werkstatt. Aber Herr Metzler kann erzählen, ohne Punkt und Komma, mit einer Begeisterung für seine Arbeit. Man könnte Stunden dort zubringen.
Er berichtet beispielsweise, dass die Kugeln im Sommer länger brauchen wie im Winter. Auch nachts geht es schneller. Wieso nur? Ganz einfach, weil das Wasser kälter ist – und somit schwerer. Jeder von uns weiß noch, dass Wasser die größte Dichte bei 4 Grad hat, nur wissen wir keine praktische Anwendung dazu. Dies ist einer von vielen Stückchen „nutzlosen Wissens“, die wir seit der Schule mit uns rumtragen. Aber auf einmal ergibt es einen Sinn.
Und dann die Murmeln, in allen Farben schillernd. Zu mir sprechen ja Steine nicht, ich kann nur sagen: „alles so schön bunt hier.“ Aber wenn sich jemand wirklich gut mit der Geologie auskennt und erzählt, so finde ich das höchst spannend. Stefan Metzler kann zu jeder einzelnen Kugel etwas sagen, woher sie kommt, aus welchem Marmor, weshalb er genau diese Farbe hat. Spannend sind Einschlüsse, z.b. aus Bergkristall, da kann man mit der Taschenlampe durchleuchten. Eine schwarze Kugel hatte einen Einschluss in Form eines weißen Halbmondes. Das ist eine Muschelschale, die Schwäbische Alb war ja mal ein Meer und Erkenbrechtsweiler eine Lagune. Da lag dann schon so einiges herum. Man kann da wirklich stundenlang zuhören – oder sich seine ganz besonders schöne Kugel aussuchen. Fotografiert habe ich fast nichts, ich war so gebannt.
Kaufen kann man die Kugeln natürlich auch, davon lebt ein Kugelmüller schließlich. Man muss sich nur entscheiden können, welche die schönsten sind. Und kaufen kann man auch die Marmorsteinen, aus denen die Bohrkerne gebohrt wurden. Als Pflanzsteine für den Garten. Kaufen kann man auch den Marmorstaub, den kann man als Dünger im Garten gebrauchen. Es wird also auf gut schwäbisch alles verwertet.
hier im Seebach sitzen die Mühlen

Das Wort Murmeln kommt von Marmor, Marmormurmeln wurden seit dem Mittelalter vor allem in Deutschland hergestellt und in alle Welt exportiert. Hier waren wir schon im Mittelalter „Exportweltmeister“. Heute gibt es ja vor allem Glasmurmeln aus China. Übrigens wurden auch die Glasmurmeln in Deutschland, genauer gesagt in Lauscha in Thüringen erfunden, aber das ist schon wieder eine eigene Geschichte.
Steinkugeln wurden früher natürlich auch als Munition gebraucht, beispielsweise auf Schiffen oder für Katapulte.
Die Kugelmühle lohnt einen Besuch, schon wegen der Erzählungen des Kugelmüllers. Anschließend kann man einen Kaffee in der Alten Kass in Neidlingen trinken oder das Ganze mit einem Besuch der Ruine Reussenstein, den Neidlinger Wasserfällen oder auch mit dem Beurener Freilichtmuseum kombinieren.
Heute gibt es im deutschsprachigen Raum nur noch eine Handvoll Kugelmühlen, umso schöner, dass man hier dieses alte Handwerk noch besichtigen kann.